von Sebastian Manger
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11. Mai 2021
I. Allgemeines: Vor mehreren Monaten hat der Präsident der konservativen Volkpartei, Pablo Casado, im Wahlkampf vorgeschlagen, die Hausbesetzung mit Freiheitsstrafe von 1 bis 3 Jahren zu bestrafen und der Polizei die Möglichkeit zu geben, die Immobilie binnen 24 Stunden zu räumen. In Spanien ist die Hausbesetzung in den vergangenen Jahren stetig angestiegen. Datenforschungsinstitute gehen davon aus, dass etwa 87.000 Wohnungen illegal besetzt sind und eine Dunkelziffer von weiteren 100.000 Wohnungen existieren soll, bei denen die Eigentümer wegen Angst vor Repressalien keine rechtlichen Schritte einleiten. Augenblicklich sind bei Hausbesetzungen nicht nur Fälle von Familien bzw. Personen zu finden, die nicht die notwendigen finanziellen Mittel für die Anmietung einer Immobilie besitzen, sondern es gibt auch mafiöse Gruppen, die organisiert Wohnungen in Luxusgegenden, hier vor allem Ferienimmobilien, besetzen und Geld für ein Verlassen der Immobilie verlangen. Das spanischen Zivilprozessgesetz hat durch das Gesetz 5/2018 vom 11. Juni 2018 der sog. „Expressräumung (deshaucio express)“ von durch „Okupas“ besetzten Immobilien, das am 2. Juli 2018 in Kraft getreten ist, eine Änderung erfahren. Motiv dieser Gesetzesänderung war das Bestreben eine Beschleunigung der Fristen bis zu einer Rückerlangung der Immobilie zu erreichen Im Idealfall hat man bei diesem Verfahren in etwa 30 Tagen seine Immobilie zurückerlangt. II. Wie funktioniert das Verfahren der Expressräumung Das Verfahren ist in Art. 250. Abs. 1 Nr. 4 spanische Zivilprozessordnung, sog. Ley de Enjuiciamiento Civil, kurz LEC, geregelt. Das Verfahren beginnt mit einer Klageeinreichung im sog. „Juicio Declarativo Verbal“ 1. Aktivlegitimiert, sprich klageberechtigt, sind Eigentümer der Immobilie sowie rechtmäßige Besitzer, z.B. Mieter oder Nießbrauchinhaber. Jedoch sind diese nur dann klageberechtigt, wenn es sich um natürliche Personen, Körperschaften ohne Gewinnerzielungsabsicht (Stiftungen) oder öffentliche Körperschaften handelt. (Art. 250 1 4 LEC). Nicht geschützt durch das Verfahren der Expressräumung sind daher die immobilienhaltenden Gesellschaften oder Banken, die die Immobilie im Wege einer Hypothekenvollstreckung erlangt haben. 2. Passivlegitimation: Die Klage kann gerichtet sein „gegen die unbekannten Besetzer“. Die Identität des Beklagten muss also nicht benannt sein, d.h. die Daten des Beklagten sind nicht in die Klage einzufügen. Dies ist eine prozessuale Erleichterung gegenüber der vorherigen Situation, wo die Identität des Beklagten angegeben werden musste. 3. Der Klage beizufügen ist der Erwerbstitel, sprich in der Regel die Kaufurkunde, aber auch ein Mietvertrag. 4. Der Klageantrag lautet: Antrag auf unverzügliche Rückgabe/ Übergabe des Besitzes (441.1 bis LEC) sowie, dass das Gericht einen Tag für die Räumung bestimmt (150.4 LEC). 5. Zustellung der Klage (Art. 441 1 bis LEC). Die Zustellung kann an die Person erfolgen, die sich zum Zeitpunkt der Zustellung in der Immobilie befindet. Die Polizei kann die Gerichtsbeamten bei der Zustellung der Klage begleiten. Sollte eine Identifizierung bei Klagezustellung möglich sein, so ist das Sozialamt zu informieren. Sollte niemand die Tür öffnen, erfolgt ein Aushang am Gericht während einer Frist von 5 Werktagen und dann gilt die Klage als zugestellt. 6. Erwiderung der Klage: Erst ergeht das Dekret über die Zulässigkeit der Klage. Dann besitzt der Beklagte allein eine abgekürzte Frist von 5 Werktagen, um die Klage zu erwidern. Die alleinige Einwendung, die dem Beklagten zusteht, ist die Beibringung einer Rechtsgrundlage, die das Recht auf Besitz an der Immobilie belegt, also in der Regel ein Mietvertrag. Folgende Verteidigungsmöglichkeiten der Hausbesetzer bestehen: Die Klage wird erwidert, jedoch wird kein Rechtstitel, sprich ein Vertrag beigebracht, aus dem sich das Besitzrecht ergibt. Dann ergeht der Beschluss, dass der Besitz an der Immobilie unmittelbar an den Kläger zurückzugeben ist und es wird ein Termin für die Räumung bestimmt. Gleiches gilt bei Beibringung eines unzureichenden Rechtstitels (z.B. einer Bescheinigung des Einwohnermeldeamts). Gegen den Beschluss kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden und richtet sich gegen alle Besetzer, die sich in der Immobilie befinden. Sollte ein Mietvertrag beigebracht werden, so kommt es zu einer mündlichen Verhandlung. Sollte die Klage nicht erwidert werden, so ergeht direkt entsprechend Art. 444.1 bis das Urteil. 7. Räumung: Grundsätzlich muss man entsprechend Art. 548 spanische Zivilprozessordnung bei gerichtlichen Entscheidungen 20 Werktage warten, bis die Vollstreckung, hier die Räumung, gerichtlich verfügt werden kann. Diese Wartezeit ist bei dem Verfahren der „Expressräumung“ nicht notwendig. Die Räumung kann daher zeitnah nach Erhalt der gerichtlichen Entscheidung erfolgen. 8. Probleme der gesetzlichen Regelung über die Expressräumung: Zeit, die vergeht, bis Klage für zulässig erklärt wird. Klage kann nicht durch immobilienhaltende Gesellschaften eingereicht werden. Theoretisch kann innerhalb der 5 Tage eine Rechtgrundlage beigebracht werden und dann muss erst noch eine mündliche Verhandlung stattfinden. III. Räumungsklage wegen illegalen Besitzes (sog. Deshaucio por Precario) entsprechend Art. 250 Abs. 1 Nr. 2 spanisches Zivilprozessgesetz. 1. Voraussetzungen: Der Kläger muss ein Besitzrecht an der Immobilie besitzen. Der Beklagte übt den Besitz ohne Rechtsgrundlage und ohne Zahlung eines Entgelts aus. „Cedido en precario“: Verlangt grds. eine geduldete Besitzübergabe. Dies wird von der Rechtsprechung auf die Haubesetzerfälle erweitert, mithin der „Besitz ohne Duldung“. 2. Fristen bis zum Erhalt eines vollstreckbaren Urteils sowie Probleme dieses Räumungsverfahrens: 4 bis 6 Monate. Der Beklagte hat 10 Werktage, um die Klage zu erwidern. Die Fristen, die dem Gericht gegeben werden, die mündliche Verhandlung durchzuführen (innerhalb eines Monats) oder das Urteil auszusprechen (10 Tage) werden nicht eingehalten. Allein die Fristen, die den Parteien gegeben werden, müssen eingehalten werden. Durch Einlegung von Rechtsmitteln könnte das Verfahren weiter verzögert werden. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass der Beklagte bei Klageeinreichung identifiziert werden muss. IV. Strafrechtliche Handlungsmöglichkeit: Anzeige wegen illegaler Inbesitznahme einer Immobilie entsprechend Art. 245 Abs. 2 spanisches Strafgesetzbuch sog. „Delito Leve de usurpación“. 1. Allgemeines: Diese gesetzliche Regelung wurde 1995 in das spanische Strafgesetzbuch aufgenommen. Vorher wurde nur die Inbesitznahme bestraft, die durch Gewalt oder Drohung gegen Personen erfolgt ist. Diese ist in Art. 245 Abs. 1 spanisches Strafgesetzbuch geregelt. Vorteile dieses strafrechtlichen Verfahrens: Es handelt sich um ein abgekürztes Verfahren, bei dem der Richter sowohl die Ermittlungen führt, als auch das Urteil fällt, was das Verfahren zeitlich erheblich verkürzt. Mit dem Verfahren wird nicht nur der Täter bestraft, sondern nach Art. 109 und 110 spanisches Strafgesetzbuch kann auch die Rückerlangung der Immobilie an den Eigentümer oder rechtmäßigen Besitzer geltend gemacht werden. Die Strafanzeige kann gegen den unbekannten Täter gestellt werden. 2. Regelung des Art. 245. 2 spanisches Strafgesetzbuch: Derjenige, der ohne Erlaubnis eine Immobilie, die nicht den Hauptwohnsitz des Opfers darstellt, in Besitz nimmt oder sich in dieser gegen den Willen des Berechtigten aufhält, wird mit Geldstrafe bestraft. Tatbestandsvoraussetzungen: Inbesitznahme einer Immobilie ohne Gewalt oder Drohung gegen Personen. Immobilie, die zu diesem Zeitpunkt nicht den Hauptwohnsitz/ gewöhnlichen Wohnsitz darstellt. Sollte es sich um den Hauptwohnsitz handeln, so wäre der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs (Allanamiento de morada) entsprechend Art. 202 spanisches Strafgesetzbuch anwendbar. Die Inbesitznahme muss ohne Rechtsgrund erfolgt sein. Sofern also eine autorisierte Besitzüberlassung erfolgt ist, kann nur der Zivilrechtsweg eingeschlagen werden. Der Eigentümer muss seinen Willen, dass der Besitz nicht geduldet wird, gezeigt haben. Es muss also zumindest eine Aufforderung erfolgt sein, die Immobilie zu verlassen. Vorsatz des Täters, d.h. er muss wissen, dass es sich nicht um seine Immobilie handelt und dass er keine Autorisation zum Verbleiben besitzt. 3. Auslegung dieses Straftatbestands durch die Rechtsprechung: Restriktiv auszulegen, da die Einschlagung des Strafrechtswegs die „última Ratio“ bleiben soll. Tribunal Supremo: Der Straftatbestand sei nur bei „schwerwiegenden Fällen“ der unbefugten Inbesitznahme von Immobilien anwendbar, also bei Fällen in denen die Störung des Besitzrechts größere Bedeutung hat. Das sei nur dann der Fall, wenn der Eigentümer seinen Willen, dass das Verbleiben nicht geduldet wird, gezeigt hat und der „Täter“ trotzdem in der Immobilie verbleibt. Dieser vorherige Schritt ist Voraussetzung für die Einlegung strafrechtlicher Schritte. Strafrecht dient nicht dazu, die Interessen einer Person zu schützen, den Besitz an einer Immobilie zurückzuerlangen, bei der dieser das Besitzrecht während einer langen Zeit 4. nicht ausgeübt hat, z.B. bei Bauruinen, so dass die Inbesitznahme von Bauruinen regelmäßig nicht den Straftatbestand der illegalen Inbesitznahme einer Immobilie erfüllt. Nur diejenige Besetzung ist strafbar, bei der der Besetzer auch das Besitzrecht ausübt, beispielsweise durch Wechseln des Türschlosses oder ein dauerhaftes Verweilen darin. Auch zeitlich befristetes Verweilen wird allgemein nicht als strafrechtlich relevantes Handeln angesehen. So wurde der Straftatbestand nicht als gegeben angesehen, wenn der Besetzer nicht in der Immobilie übernachtet hatte. Der Besitzentzug muss „continuada, permamente y estable sein, d.h. fortgesetzt, dauernd und gefestigt sein, ohne eine konkrete Mindestdauer des Besitzentzugs zu nennen.